Tod des Partners: Verwitwet alleinerziehend

Für diesen Beitrag überreiche ich das Wort an Inga. Denn sie hat durch den Tod ihres Ehe-Mannes eine teils sehr wilde und vor allem überraschende Odyssee erlebt, mit der sie so nicht gerechnet hatte. Auch hier zeigt sich, dass selbst bei den Witwen / Witwern mit Kind vieles nicht gut geregelt ist und es – wie in Ingas Fall – Jahre braucht, um durch das gesetzliche Labyrinth durchzublicken. Aber das kann Inga jetzt. Daher komm gerne mit ihr in Kontakt, wenn du selbst betroffen bist!

„Du bist eine so starke Frau“

Diesen Satz habe ich oft genug zu hören bekommen. Meistens voller Bewunderung. Aber ganz ehrlich? Ich habe mir das nicht ausgesucht – und die (immer ehrlich gemeinte) Bewunderung half mir tatsächlich reichlich wenig weiter.

Dieser Satz nervt mich auch deswegen so sehr – weil es den Sprechenden von einer Hilfe „freistellt“. Ganz nach dem Motto: Du bist ja so stark – Du schaffst das ja prima alleine.

Nein, ich schaffe das nicht alleine. Oft genug bin ich an dieser Situation fast zusammengebrochen.

Über mich, Inga

Ich bin mit 40 Jahren Witwe geworden. Unsere gemeinsamen Kinder waren damals 4 und 6 Jahre alt, die drei Stiefkinder 16, 19 und 21 Jahre. Wir hatten von der Diagnose „Darmkrebs mit Lebermetastasen“ bis zum Tod insgesamt 4 Jahre und 3 Monate Zeit, vorausgesagt waren allerdings nur 2-6 Monate, je nachdem ob die Chemo anschlagen würde oder nicht.

Nach dem Tod habe ich ein Jahr gebraucht, um das komplizierte Erbe abzuwickeln und die schlimmsten Existenzängste zu beruhigen. Ich habe ein weiteres Jahr gebraucht, um die Regelungen der Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenen-Renten zu verstehen und ein drittes Jahr, um zu verstehen, dass auch ich auch als Witwe „Alleinerziehend“ bin.

Und ich war alleine. Vollkommen alleine. Die starke Frau und ihre Kinder waren alleine. 

Wenn Du Betroffen bist oder Dich informieren möchtest, schaue Dich gerne auf meiner Webseite um: www.verwitwet-alleinerziehend.de 

Was unterscheidet denn verwitwete Alleinerziehende von „anderen“ Alleinerziehenden?

Jede funktionierende Ehe ist nur einen Augenschlag, einen Minutenschlaf auf der Autobahn, eine Unachtsamkeit oder eine gravierende Diagnose, vom Verwitwet-Sein entfernt. Uns traf die Diagnose wie ein Schlag, keiner von uns war auf so etwas vorbereitet. 

Und da sind es vor allem diese zwei Bereiche, in denen sich das Leben Verwitweter nach dem Tod des Partners von der „klassischen Alleinerziehenden“ unterscheidet: Der Empfang der Hinterbliebenen-Rente und der Fakt, dass Care-Arbeit nicht mehr geteilt werden kann.

Betroffene machen zudem oft genug erhebliche Erbstreitigkeiten mit gravierenderen Folgen für die Rest-Familie durch.

„Redet ihr noch miteinander oder habt ihr schon gemeinsam geerbt?“ ist der Running-Gag in der Steuerkanzlei von Reina Becker, die selbst verwitwet ist und sich für eine steuerliche Besserstellung von Alleinerziehenden einsetzt.

Finanzielle Voraussetzungen nach dem Tod des Ehemanns

Erhalt der Witwer- / Witwenrente oder der Erziehungsrente? 

Mit dem Empfang der Hinterbliebenen-Rente geht es uns für den Moment finanziell erst einmal „besser“ als den klassischen Alleinerziehenden, die dieses Mehr an Geld tatsächlich nicht haben, sofern sie keinen Trennungs- oder Ehegattenunterhalt bekommen. 

Die Hinterbliebenen-Renten werden als sogenannte Unterhaltsersatzleistungen gezahlt und sind damit verfassungskonform durch eigenes Einkommen kürzbar, wenn dieses einen bestimmten Freibetrag übersteigt.

Dieser Freibetrag bzw. diese Hinzuverdienstgrenze ähnelte bei der Einführung 1986 in der Höhe dem sogenannten notwendigen Selbstbehalt – heute liegen diese beiden Werte allerdings fast 400€ auseinander!

Aus meiner Sicht sind die Regelungen der systembedingte Weg in die Altersarmut für junge Betroffene, deswegen habe ich zusammen mit unseren Mitstreiterinnen bereits ca. 25 Petitionen auf den Weg gebracht. Mehr zur Hinzuverdienstgrenze findest du auf meiner Website: Die Hinzuverdienstgrenze

Das Neue Recht

Ausschlaggebend für die gravierende Änderung im Vergleich zu früher ist die Einführung des sogenannten Neuen Rechts, was z.B. die Witwenrente von 60% auf 55% gekürzt hat, den sogenannten Abschlag von bis u 10,8% bei jung Verstorbenen eingeführt und die Einkommensanrechnung stark ausgeweitet hat.

Damit ist grob gesagt jedes legal erworbene Einkommen anrechnungsfähig und kürzt bei Überschreiten des Freibetrags den Auszahlbetrag der Hinterbliebenen-Rente – und zwar während der Lebenserwerbsphase als auch während der Altersrente.

Auch der Verkauf von Immobilien kann nach Neuem Recht anrechnungsfähig sein, mehr dazu in diesem Beitrag: Wenn der Hausverkauf die Hinterbliebenen-Rente kürzt 

Steuererklärung

Mit dem Empfang der Hinterbliebenen-Rente sind wir außerdem auch verpflichtet, jährlich eine Steuererklärung abzugeben, denn die Hinterbliebenen-Renten werden Brutto ausgezahlt und sind anteilig steuerpflichtig, ab 2040 und jede Rentenerhöhung sogar zu 100%.

Betroffene müssen durch die Einkommensanrechnung zusätzlich jedes Jahr ihre gesamten Einkommensverhältnisse der Deutschen Rentenversicherung melden. Wir sind also gläserne Bürger – und das oft lebenslang.  

Das BMAS begründet die Regelungen der Hinterbliebenen-Renten so: „Es darf grundsätzlich nichts Anderes gelten, als im Unterhaltsrecht“.

Was bei den Hinterbliebenen-Rente trotzdem anders und warum das ungerecht ist – und die Bundesregierung uns meines Erachtens nach mit dieser Begründung an der Nase herumführt – erfahrt ihr in meinem Einspruch vom 10.08.2023: 

Petition Erziehungsrente ohne Einkommensanrechnung

Erziehungsrente

Eine besondere Stellung der Hinterbliebenen-Renten nimmt die so unbekannte Erziehungsrente ein, die als Unterhaltsersatzleistung für Geschiedene gedacht war, deren Ex-Partner verstirbt und deswegen keinen Unterhalt mehr zahlen kann. Selbst viele Geschiedene kennen diese Rentenart nicht – und beantragen diese deswegen auch oft nicht.

Verwitwete können diese Rentenart unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls beantragen. Wie das genau geht, erfährst Du hier: Erziehungsrente

Inga spricht im Podcast Das AE-Team über den Tod

„Was Dir als AE-Witwe zusteht“, so lautet die Podcast-Folge, die Silke und Sina zusammen mit Inga aufgenommen haben. Hier erfährst du noch sehr viel mehr darüber, welche Erfahrungen Inga nach dem Tod des eigenen Partners und gemeinsamen Kindern gemacht hat – und wie haarsträubend manche gesetzlichen Regelungen sind.

Was der Tod aus der Care-Arbeit macht

Kein Wochenend-Papa, keine geteilten Ferien, keinen Nachmittag frei – es sei denn Betroffene bezahlen dafür oder die Oma ist in der Nähe, gesund und bereit. Die Kinder sind 24/7 bei uns, so ist es zumindest bei mir.

In meinem Fall sind durch den komplizierten Erbstreit auch die Schwiegereltern und die komplette Schwiegerfamilie weggebrochen – und das ist leider keine Seltenheit.

#Carearbeitteilenabermitwem ist deswegen mein Lieblingshashtag bei Instagram geworden. Wie ich unser Leben als Verwitwete Alleinerziehende stemme, kannst Du in meinem Beitrag lesen: Carearbeit teilen aber mit wem

Sätze, die Betroffene wirklich nerven: 

➤ „Du bist so eine starke Frau“ oder „Wie Du das alles schaffst – ich könnte das nicht“

Betroffene haben gar keine andere Wahl! „Der Satz kotzt mich an. Damit wird die Verantwortung für Gelingen oder Nicht-Gelingen der Zukunft an mich gegeben – und zwar zu 100 Prozent“ (Birgit Reimann)

➤ „Du schaffst das schon, wenn was ist melde Dich“ 

Besser ist es tatsächlich konkret zu helfen, statt zu warten, bis der/die Betroffene sich meldet. „Meine Freundin hat mich überall hin mitgeschleppt, damit ich einen neuen Mann kennenlerne, irgendwann. War schon süß“ (Luna Franz)

➤ „Du bist noch so jung“ oder „Du findest wieder jemanden“

Warum eigentlich? Kann man nur mit Partner glücklich werden? Und ist Patchwork wirklich so viel besser als Alleinerziehend?

➤ „Sei froh, Du hast doch Deine Kinder“ „Du bist ja nicht allein“ oder auch „Vielleicht ja besser so, dass euer Kinderwunsch unerfüllt blieb.“ 

➤ „Sätze???? Wenn man jemand mit mir reden würde …. Da wäre mir jedes Wort recht“. (Car Thi)

➤ „Und ganz ehrlich, als Witwe ist man nirgendwo gern gesehen. Ich habe es wortwörtlich zu hören bekommen: Wir haben Angst um unsere Männer!“

Dieser Satz ist gleichsam beängstigend wie auch wahr. Als Alleinerziehende Witwe wird man nicht mehr überall eingeladen und mit „ganzen Familien“ herrscht ein systemisches Ungleichgewicht. 

➤ „Dir geht’s doch gut, du bekommst doch Witwenrente…“ 

Dieser Satz lässt mich nur noch laut lachen … (Birgit Reimann)

„Viel schlimmer finde ich die Erwartungen und ungeschriebenen Gesetze: Man hat dann und dann traurig zu sein und es zu zeigen, und ab diesem Zeitpunkt nicht mehr, weil es ja schon zu lange her ist. Und wenn man nicht weint, hat man wohl nicht richtig geliebt usw. Oder: als Witwe hat man mindestens ein Jahr alleine zu sein und wehe man lernt früher jemanden kennen, das geht gar nicht.“ (Eva Ro) 

➤ „Das Leben geht weiter!“

„Ach neeee, hätte ich jetzt nicht gedacht. Diese lapidare „Weisheit“ macht es gleich viel besser“. (K-c Patzelt)

Fazit: Was der Tod aus Familien macht

Wir sind eine „kaputte“ Familie. In der Gesellschaft und für die Politik. Steuerlich gesehen sind Alleinerziehende keine Familie mehr, sondern ledig (in diesem Fall gehören Verwitwete Alleinerziehende dann dazu).

Verwitwete sind zudem gleich mit zwei Tabuthemen belastet: Tod und Finanzen – deswegen spricht man selten über uns und schon gar nicht mit uns. Es ist eine sehr belastende Familienform, die kaum sichtbar ist. 

Komm in den Austausch für mehr Sichtbarkeit

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